Gesundheitsteam von a+G in Bosnien

Wir befürchten, aufgrund der dramatischen Lebensbedingungen in Bihac, in Lipa, in Kladusa, in Bosanska Bojna, dass geflüchtete Menschen gestorben sind, ohne dass dies öffentlich thematisiert wurde.

Gerhard Trabert, 17.01.2021

Vom 07.01.2021 bis zum 15.01.2021 war ein Team von Armut und Gesundheit, bestehend aus einer Krankenschwester, einem Krankenpfleger, zwei Sozialarbeiter:innen und einem Arzt in Bosnien unterwegs, um geflüchtete Menschen medizinisch zu versorgen. Vor Ort hat das Team mit der bosnischen Hilfsorganisation SOS Bihać zusammengearbeitet.

Das Team führte über 200 Behandlungen durch. Am häufigsten wurden Wunden, Hauterkrankungen, und hier insbesondere Krätze (Skabies) behandelt. In einigen Fällen mussten auch Antibiotika eingesetzt werden, ohne deren Wirkung es sonst zu schweren Krankheitsverläufen gekommen wäre.

Nach einem Treffen mit der Deutschen Botschafterin in Bosnien, Frau Margret Uebber, konnten die Kompetenzstreitigkeiten der Behörden und die bürokratischen Schikanen vor Ort etwas besser durchleuchtet werden. Mit ihrer Unterstützung sind wir zuversichtlich, zeitnah eine Genehmigung für die medizinische Versorgung der geflüchteten Menschen erhalten zu können.

Prof. Dr. Trabert hat uns im Folgenden seine Eindrücke zu dieser Hilfsaktion zusammengetragen:

Wir konnten mit den mitgebrachten hochwertigen Schlafsäcken, Isomatten, Unterwäsche, Handschuhe, Mützen, Schals, Windeln, Hygieneartikel u.v.m. zahlreichen Menschen in ihren katastrophalen Unterkünften, den Schlafplätzen im Freien, etwas Hilfe zukommen lassen. Wir haben für andere Hilfsorganisationen und zukünftige medizinische Einsätze zahlreiche Medikamente und Verbandsmaterial übergeben.
Wir haben im Lager von SOS Bihac leider aber auch sehen müssen, was alles aus Deutschland an minderwertigen Hilfsgütern gespendet wurde. Beispielhaft habe ich einen Wanderschuh fotografiert, dessen Sohle sich ablöste. Viele Schlafsäcke sind überhaupt nicht wintertauglich. Zum Teil hatte man das Gefühl, dass minderwertige Sachen „gespendet“, eher entsorgt wurden und man sich keinerlei Gedanken darübermachte, dass dies keine wirkliche Hilfe für die Menschen in Bosnien ist, im Gegenteil, sogar eine Gesundheitsgefahr darstellt. Es dient wohl eher der Beruhigung des eigenen Gewissens.
Auf unsere Forderung nach sofortiger Evakuierung der Menschen aus diesen menschenunwürdigen Lebensverhältnissen bekamen wir von politischer Seite immer wieder die Antwort: „Das ginge nicht, denn damit würde man ja die Büchse der Pandora öffnen, und alle Menschen würden dann nach Europa flüchten!“ Die Büchse der Pandora ist für die tausenden Menschen auf ihrer Flucht nach Europa, durch das Versagen Europas, schon längst geöffnet.
Wir befürchten, aufgrund der dramatischen Lebensbedingungen in Bihac, in Lipa, in Kladusa, in Bosanska Bojna, dass geflüchtete Menschen gestorben sind, ohne dass dies öffentlich thematisiert wurde.
Es waren bewegende und intensive Begegnungen, verbunden mit dem Gefühl von Ohnmacht und Melancholie dieser menschenverachtenden Politik gegenüber. Es bleibt die tief empfundene Demut und Dankbarkeit ein wenig Menschlichkeit den vergessenen geflüchteten Menschen in Bosnien erwiesen haben zu dürfen.
Es bleibt auch die Erfahrung wie gastfreundlich und dankbar die geflüchteten Menschen unserem Team gegenüber waren. U.a. gab es ein gemeinsames Essen in der Altersheim-Rohbauruine, von selbst gebackenem Fladenbrot, dass die geflüchteten Menschen uns anboten. Es war ihr Frühstück um 16 Uhr, die einzige Mahlzeit und dennoch war es keine Frage für sie dies mit uns zu teilen.
So bleibt die Frage, sind auch wir reichen Europäer bereit zu teilen, um Menschen in Not zu helfen? Wir werden wiederkommen und wir werden diese Ungerechtigkeit in Deutschland immer wieder thematisieren!

Gerhard Trabert, 17.01.2021

Auch in der Presse wurden die Erfahrungen unseres Teams bereits mehrfach aufgegriffen:

Fernseh-Interview mit G. Trabert zur Lage in Bosnien (Volle Kanne, ZDF, 25.01.2021)

https://www.zdf.de/verbraucher/volle-kanne/fluechtlingslager-in-bosnien-100.html

Bericht über Zustände in Bosnien mit Ausschnitten aus Interview mit G. Trabert mit dem Evangelischen Pressedienst (Migazin, 18.01.2021)

Verlassen in der Kälte (Der Spiegel, 17.01.2021; Video mit Transskript)

https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-bosnien-herzegowina-verlassen-in-der-kaelte-a-dbea6302-e006-4c02-8595-46f0208ef975

Sozialmediziner Trabert hilft Flüchtlingen in Bosnien (Süddeutsche Zeitung, 11.01.2021)

https://www.sueddeutsche.de/politik/migration-bihac-sozialmediziner-trabert-hilft-fluechtlingen-in-bosnien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210111-99-978192

Ebenso bei Hit-Radio FFH (13.01.2021)

https://www.ffh.de/nachrichten/hessen/wiesbaden/261136-mainzer-arzt-hilft-im-fluechtlingslager.html

Mainzer Arzt: Situation in Bosnien schlimmer als auf Lesbos (evangelisch.de, 11.01.2021)

https://www.evangelisch.de/inhalte/181095/11-01-2021/mainzer-arzt-situation-bosnien-schlimmer-als-auf-lesbos