Vor dem hessischen Landtag hat gestern ein Bündnis aus den Medinetzen Marburg und Gießen, politischen Akteur:innen der Parteien, der Landesärztekammer und ehrenamtlichen Trägern dazu aufgerufen, in Hessen einen anonymen Behandlungsschein sowie eine Clearingstelle, die Menschen wieder in eine Krankenversicherung bringt, einzurichten. Eine Petition von Medinetz ging dem voraus.
Nele Wilk, Sozialarbeiterin im Verein Armut und Gesundheit, war ebenfalls anwesend und hat in ihrem Redebeitrag einen kleinen Einblick in ihre Arbeit in der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz gegeben. Immer wieder kämen auch Klient:innen aus Hessen zur Beratung in die Ambulanz und fragen nach einem Clearing – „jedoch dürfen diese bei uns eigentlich gar nicht beraten werden, da wir vom Land RLP refinanziert werden. Ein Dilemma!“
Oft wird sie gefragt, warum trotz der allgemeinen Versicherungspflicht seit 2009 noch Menschen ohne Krankenversicherungsschutz in Deutschland leben. „So unterschiedlich wie die Menschen, die bei uns Hilfe suchen, so unterschiedlich sind auch die Gründe für einen fehlenden oder unzureichenden Krankenversicherungsschutz.“
Vor etwa zwei Jahren brachte die Fraktion DIE LINKE einen Gesetzesentwurf für ein Gesetz zur Schaffung von Clearingstellen sowie eines Behandlungsfonds zur Unterstützung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz in den hessischen Landtag ein. Damals nahm Johannes Lauxen, ebenfalls Mitarbeiter in der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz, dazu Stellung und erklärte: „Aufgrund der Gesetzeslage sind dabei drei Gruppen von Hilfesuchenden zu unterscheiden, die je unterschiedliche Voraussetzung für die Integration in eine Krankenversicherung mitbringen, nämlich Menschen aus Deutschland, Menschen aus der EU und Menschen aus Drittstaaten. Dementsprechend sind sie auch oft mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert.“
Bundesweit gibt es immer mehr Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung – bald hoffentlich auch in Hessen.
Zusätzlich zu den Clearingstellen setzen wir uns deutlich für einen Behandlungsfonds ein, um in dringenden Notsituationen Behandlungskosten übernehmen zu können. Menschen wenden sich oft erst an die vorhandenen Anlaufstellen, wenn sie akute Schmerzen oder lebensbedrohliche Krankheiten haben. Dann muss es oft schnell gehen. Menschen in das Krankenversicherungssystem zu integrieren, kann aber unter Umständen monatelang dauern und erfordert nicht selten eine längerfristige Beratung und Begleitung. Ein Behandlungsfonds könnte in solchen Fällen notwendige Behandlungskosten übergangsweise decken.
Zudem gibt es auch Menschen, die aufgrund der bestehenden Gesetzeslage einfach nicht in das bestehende Gesundheitssystem zu integrieren sind. Mit einem Behandlungsfonds könnten auch diese Menschen notwendige medizinische Behandlungen erhalten.
Der Zuwachs an Beratungsangeboten ist einerseits erfreulich, weil die betroffenen Menschen dringend Hilfe benötigen. Andererseits füllen Clearingstellen und medizinische Anlaufstellen derzeit lediglich Lücken im System. Wenn Menschen erst eine Clearingstelle aufsuchen müssen, um ihr Menschenrecht auf angemessene gesundheitliche Versorgung wahrnehmen zu können, dann erfüllt der Sozialstaat seine Aufgaben nur ungenügend. Es bedarf daher neben der Einrichtung von weiteren Beratungsangeboten dringend gesetzlicher Reformen.
Einen Bericht über die Kundgebung vor dem hessischen Landtag finden Sie hier:
https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/hessen-gesundheit-fuer-alle-91536727.html
Und hier ein Bericht über die Klage gegen die Stadt Frankfurt sowie die Petition:
https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/hessen-fuer-ein-menschenrecht-auf-gesundheit-91533577.html