Zum heutigen Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus macht Prof. Dr. Gerhard Trabert, 1. Vorsitzender unseres Vereins, auf eine schockierende Zahl aufmerksam: 65.000 – 70.000 jüdische Menschen leben in Deutschland in Armut. Darunter solche, die Shoah, den Holocaust, überlebt haben sowie deren Nachkommen und Angehörige. Viele von ihnen sind nach 1945 aus der ehemaligen Sowjetunion zugewandert.
Seit Jahren führen u. a. die Zentralwohlfahrtsstelle und der Zentralrat der Juden in Deutschland Gespräche mit politischen Entscheidungsträger:innen, mit dem klaren Ziel, eine Verbesserung der sozialen Lage der Menschen zu erreichen. So wurden schon 2010 durch die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern und 2011 durch den Berliner Senat entsprechende Anträge für Gesetzesinitiativen im Bundesrat eingebracht.
Bis zum heutigen Tag wurden aber keine unterstützenden Maßnahmen, d. h. Maßnahmen, die die finanzielle Situation und damit die soziale Situation der direkten und indirekten Opfer des Nationalsozialismus verbessern, realisiert.
Zwar konnten die Zentralwohlfahrtsstelle und der Zentralrat der Juden in Gesprächen mit der Bundesregierung die Initiierung eines Fonds in Form einer Stiftung erreichen. Dieser sollte zu gleichen Teilen durch Bund und Länder finanziert werden. Doch der Bund hat im November 2022 statt der ursprünglich angekündigten Milliarde lediglich 500 Millionen Euro eingestellt. Bei den Bundesländern scheint die Motivation, sich finanziell zu beteiligen, sehr gering zu sein. Unter anderem wird immer wieder als Argument aufgeführt, dass Rentenfragen Bundesangelegenheit seien.
Die verschiedenen Bundesregierungen wiederum begründeten ihre zögerliche Herangehensweise mit bürokratischen Hürden einer angeblichen Gleichstellungsproblematik, mit der Unterstützung anderer Zugewanderter, Kontingentflüchtlingen, usw.
„Armut darf niemals gegen Armut ausgespielt werden! Die Opfer des Nationalsozialismus, und hier denken wir auch an Sinti und Roma, von denen sehr wahrscheinlich auch zahlreiche direkt Betroffene und deren Angehörige in Deutschland in Armut leben, können nicht mit der Situation anderer nach Deutschland zugewanderter Menschen verglichen werden. Deutschland hat hier eine besondere Schuld und in der Gegenwart eine besondere Verantwortung wahrzunehmen“, betont Gerhard Trabert.
Das schleppende, hinauszögernde Verhalten der politisch Verantwortlichen hat in der jüdischen Community zu großer, nachvollziehbarer Enttäuschung geführt und deutet auf immer noch fehlendes konkretes Verantwortungsbewusstsein gegenüber Jüd:innen in Deutschland hin.
Wir empfinden dies als einen Skandal und fordern sofortige Unterstützung der betroffenen Mitbürger:innen. Es ist nicht zu akzeptieren, dass Überlebende des Holocaust und ihre Nachkommen im reichen Deutschland in Armut leben müssen.
„Die extreme Traumatisierung der betroffenen Menschen während des mörderischen deutschen Nationalsozialismus findet auf eine andere Art und Weise, quasi als tertiäre Traumatisierung wieder statt! Die Lebensleistung der jüdischen Zugewanderten zur Wiederherstellung jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 wird damit herabgewürdigt. Wir fordern den Bund und insbesondere die Bundesländer auf, sofort zu handeln!“
Wir haben einen Dialog mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland begonnen und werden diesen weiterführen mit dem Ziel, gemeinsam und solidarisch in dieser Sache voranzukommen.
Weitere Informationen
der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland zum Thema,
inkl. Factsheet zum Herunterladen: https://zwst.org/de/news/die-zeit-wird-knapp