Bereits seit über 10 Jahren setzen sich Sozialarbeitende und Aktive von unserem Verein (a+G), den Medinetzen Mainz und Koblenz gemeinsam dafür ein, eine Clearingstelle für Krankenversicherungsschutz in Rheinland-Pfalz aufzubauen. Und auch unser 1. Vorsitzender, Prof. Dr. Gerhard Trabert, forderte 100 Tage nach Eröffnung und Arbeitserfahrung in der Medizinischen Ambulanz ohne Grenzen des Vereins in einer Presserklärung drei zentrale Maßnahmen: die Einführung von Clearingstellen, Fallkonferenzen und einen Gesundheitshilfefonds. 2019 kam das Land Rheinland-Pfalz immerhin einer dieser Forderungen nach und startete damit, die Arbeit der Sozialarbeitenden bei Armut und Gesundheit, die Menschen (zurück) auf dem Weg in das reguläre Krankenversicherungssystem begleiten, zu refinanzieren. „Die Clearingstelle ist ein Beweis dafür, dass Ausdauer, Kontinuität, Kompetenz und Engagement der Zivilgesellschaft, verbunden mit politischem Willen, zu strukturellen Verbesserungen führen können“, so Prof. Dr. Trabert. Dennoch bleibt viel zu tun.
Trotz bestehender Versicherungspflicht leben weiterhin Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz in Deutschland. Mehr als 1.500 dieser Betroffenen wurden in den letzten fünf Jahren allein in Rheinland-Pfalz von der Clearingstelle beraten. „Es ist erschreckend, dass wir in einem Land wie Deutschland Menschen haben, die keinen oder nur unzureichenden Krankenversicherungsschutz haben“, sagt Johannes Lauxen von der Clearingstelle in Mainz. Die Gründe dafür sind vielfältig: bürokratische Hürden, unzureichende Beratung durch Krankenversicherungen und hohe Beitragsschulden, die Betroffene davon abhalten, ihre Ansprüche geltend zu machen. Laut dem Bundesamt für Soziale Sicherung erreichten die Beitragsschulden in der Krankenversicherung im Jahr 2023 einen neuen Rekordwert von über 20 Milliarden Euro.
Anlässlich des 5-jährigen Bestehens veröffentlichte die Clearingstelle Rheinland-Pfalz eine Broschüre, die umfassende Zahlen und Fakten zur bisherigen Arbeit enthält. Diese Broschüre steht ab sofort zum Download bereit; siehe unten.
Ein besonders alarmierender Aspekt ist, dass jede zehnte Hilfe suchende Person schwanger war. Die bürokratischen Hürden und der fehlende Versicherungsschutz erschweren es Schwangeren, die notwendige medizinische Hilfe zu erhalten. Neben diesem Thema beleuchtet die Broschüre auch die Herausforderungen von Altersarmut und die Situation von EU-Bürger*innen, die aufgrund rechtlicher Lücken häufig keinen Zugang zu einer Krankenversicherung haben.
Das deutsche Gesundheitssystem stützt sich aktuell massiv auf ehrenamtliche Hilfe. Projekte wie die Clearingstellen bieten vielen Betroffenen die einzige Möglichkeit, Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten. Doch das darf nicht die langfristige Lösung sein. „Es ist inakzeptabel, dass wir weiterhin auf ehrenamtliche Strukturen angewiesen sind, um die Gesundheitsversorgung sicherzustellen“, sagt Johannes Lauxen. Kliniken, Arztpraxen und Hilfsorganisationen bleiben oft auf den Behandlungskosten sitzen, weil es keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen gibt, um diese Versorgungslücken zu schließen.
Ein weiteres Problem ist, dass laut dem Schuldenreport 2024 des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF) Krankheit im Jahr 2023 zur Hauptursache für Überschuldungen in Deutschland geworden ist, womit Arbeitslosigkeit als häufigste Ursache abgelöst wurde. Die Bundesregierung muss endlich aktiv werden und die gesetzlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass alle Menschen – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder ihrer finanziellen Lage – Zugang zu einer Krankenversicherung erhalten. Gesundheitsversorgung darf nicht länger vom Ehrenamt abhängen. Um die bestehenden Lücken im System zu schließen und das Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung für alle zu sichern, sind umfassende gesetzliche Maßnahmen erforderlich.
Die derzeitige politische Debatte zeigt besorgniserregende Tendenzen, durch die Menschenrechte schrittweise beschnitten werden. Die politisch Verantwortlichen müssen sich positionieren: Nicht nur leere Versprechungen abgeben, sondern auch konkrete Schritte unternehmen, um die Menschenrechte tatsächlich zu wahren und zu schützen.