Perspektiven für eine menschliche Flüchtlingspolitik in Mainz

Pressemitteilung vom Mainzer Flüchtlingsrat zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2025

Kommunale Bildungs-, Gesundheits-, Wohnungs- und Flüchtlingspolitik gestalten

Der 10. Dezember, der Tag der Menschenrechte, erinnert an den Auftrag, den die Vereinten Nationen mit der Verabschiedung der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor 77 Jahren uns allen gegeben haben. Für Menschen, die aus unerträglichen Lebensbedingungen fliehen müssen oder vertrieben werden, sind diese Rechte entscheidend. Denn nur wenn ihre Rechte als Menschen gleichwertig anerkannt und realisiert werden, kann eine Gesellschaft sich als human und demokratisch verstehen – und sie können in Freiheit überleben. Der Mainzer Flüchtlingsrat setzt sich für diese Rechte ein, nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle benachteiligten Personengruppen. Deshalb liegt der Schwerpunkt seiner Forderungen auf der Verbesserung der sozialen Infrastruktur.

So sind die Arbeitsbedingungen in den Kitas und Schulen in der Nähe einer Flüchtlingsnotunterkunft besser auszustatten. Dann können die pädagogischen Fachkräfte sich mehr um die Verbindung zu den Eltern kümmern und sie beim Übergang in einer neues Bildungssystem unterstützen. Es geht dabei nicht nur um Einladungen in der Muttersprache zu Elternabenden, sondern um kleine Gruppen der Sprachförderung und um Besuche der Eltern. Denn deren Bereitschaft und Motivation, den Bildungsgang ihrer Kinder kompetent zu unterstützen, ist eine Bedingung des Schulerfolgs. Auch die Spiel-, Schularbeitshilfen und Nachhilfeangebote in den Flüchtlingsnotunterkünften sind mehr zu unterstützen. Beispielsweise brauchen sie auch ein professionelles Management, um langfristig tätig zu sein und komplexe Situationen bewältigen zu können.

„Ein katastrophales Versäumnis ist gegenwärtig der Umstand, dass nicht wenige geflüchtete Jugendliche ihre Ausbildung nicht abschließen. Diese Jugendlichen aber leben hier, sie haben schon einen Bildungsprozess in diesem Land durchlaufen und sind so motiviert, dass sie einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen haben“., sagt Professor Franz Hamburger. Die bestehenden Initiativen zur Ausbildungsbegleitung und -förderung müssen jetzt erheblich ausgebaut und gefördert, weitere sollen aufgebaut werden. Die Zusammenarbeit von staatlicher Schulverwaltung, Schulen, Kammern und lokaler Arbeitsförderung muss sich forciert auf diesen Förderschwerpunkt konzentrieren und endlich effektiv in Gang kommen. Die Projekte, beispielsweise das MentoringMainz unter dem Dach der Kinderschutzbundes oder das Projekt „AzubiGo!“ bei der Ökumenischen Flüchtlingshilfe Oberstadt, benötigen mehr Unterstützung.

Die Zahl der Ausbildungsabbrüche ist in den letzten 20 Jahren erheblich gestiegen. 2006 wurden noch 9% der Ausbildungsverträge aufgelöst, 2024 sind es schon 30%. Dabei handelt es sich um alle Verträge, gerade nicht nur um Verträge von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Erfahrungen der Praxis in Mainz zeigen in beiden Projekten, dass durch persönliche Begleitung der Erfolg in der Berufsausbildung erheblich gesteigert werden kann. „Es kann nicht sein, dass immer mehr junge Menschen ohne Ausbildung ins Leben gehen.“, sagt Hamburger.

Im Gesundheitssystem haben viele Menschen faktisch keinen oder nur eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die offiziellen Daten, des Mikrozensus beispielsweise, verdunkeln die hohe Dunkelziffer derer, die von den Leistungen ausgeschlossen sind. Menschen ohne Krankenversicherungsschutz – insbesondere Personen ohne gültige Aufenthaltspapiere, aber auch viele wohnungslose Menschen und EU-Bürger*innen – haben also keinen Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung.

Nele Wilk von „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“ erklärt die Situation: „Folglich bleibt in vielen Fällen nur die medizinische Versorgung im Notfall. Berichten von Anlauf- und Beratungsstellen zufolge kommt es jedoch immer wieder vor, dass Hilfesuchende, die keinen Krankenversicherungsschutz nachweisen können, in Notaufnahmen bereits vor einer qualifizierten Ersteinschätzung abgewiesen werden oder eine Art Eintrittsgebühr von mehreren hundert Euro vorlegen sollen. Oft ist die Verständigung durch Sprachbarrieren erschwert und eine Sprachmittlung nicht verfügbar.

Nele Wilk verweist auch auf die Petition der Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit/Illegalität an den Deutschen Bundestag. Mit einfachen Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes kann die Medizinische Notfallversorgung für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz sichergestellt werden. „Vor Ort, auch in Mainz, können in Notaufnahmen und Integrierten Notfallzentren, bei Leitstellen und Notrufnummern Sprachmittlungsmöglichkeiten, auch in digitaler oder telefonischer Form, zur Verfügung gestellt werden, um Sprachbarrieren wirksam abzubauen“. Schon die intensive Information der medizinischen Dienste über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten würde die Situation verbessern.

„In der ‚siebtteuersten Mietenstadt Deutschlands‘ gibt es nur noch rudimentär Sozialwohnungen und kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Außerdem fehlen Mindeststandards für Flüchtlingsnotunterkünfte in Mainz“, sagt Axel Geerlings-Diel vom Flüchtlingsrat: „Wir setzen uns weiter für gemeinsame Lösungen der Koalition aus Grünen, CDU und SPD zur Wohnungsnot ein.“ Die Zahl der Sozialwohnungen ist seit den 1980iger Jahren von 21.000 Sozialwohnungen bei 85.000 Wohnungen insgesamt in Mainz auf rund 5.800 Sozialwohnungen bei 122.000 Wohnungen in Mainz zurückgegangen.

Axel Geerlings-Diel fügt auch die allgemeinen Daten hinzu: 2025 lebten in Mainz 9702 Geflüchtete, bei einer Gesamteinwohnerzahl von ca. 223 000. Von den Geflüchteten leben 2500 in Flüchtlingsnotunterkünften. Rund 1.600 davon könnten berechtigterweise in Wohnungen leben, wenn genügend Wohnungen zur Verfügung stünden. Die 19 Unterkünfte bieten insgesamt ca. 3.200 Wohnplätze. Im Durchschnitt kommen 10 Geflüchtete pro Woche neu nach Mainz. „Für das Zusammenleben und für die Integration wäre das Wohnen verteilt über die Stadt, sehr viel besser als die soziale und räumliche Segregation“ so abschließend Geerlings-Diel.

Dass wir zur Realisierung des Menschenrechts auf Asyl beitragen können, hebt Pf. i. R. Friedrich Vetter abschließend hervor. Er appelliert an die Verantwortlichen der Stadt: „Sie sollen Empathie zeigen. Den schriftlichen Voten Taten folgen lassen und sich dafür einsetzen, dass Menschen in Not in Deutschland, in Mainz, Schutz und Asyl finden. Wir brauchen legale Weg nach Mainz.“ Für eine menschenrechtlich orientierte Politik ist nicht nur das Funktionieren der Institutionen und Einrichtungen wichtig, sondern die aktive demokratische Haltung der Bürger und Bürgerinnen. Sie beanspruchen die Menschenrechte für sich und dies erfordert den Einsatz für von Rechten ausgeschlossene Personen. Denn die Menschenrechte sind unteilbar.                            

Unsere Präsenz beim Marche des Parapluies 2025. Foto: a+G