Offener Brief an Frau Ministerin Dörte Schall

BETREFF:          7. Armuts- und Reichtumsbericht:
Nächste Schritte für eine wirksame Armutsbekämpfung

Sehr geehrte Frau Ministerin Schall,

kürzlich haben Sie den 7. Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung Rheinland-Pfalz veröffentlicht. Er zeigt strukturelle Entwicklungen und regionale Unterschiede anhand aussagekräftiger Daten. Besonders begrüßenswert ist die differenzierte Betrachtung benachteiligter Gruppen sowie zentraler Themen wie Wohnraummangel, Bildungsbenachteiligung und ungleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung. Diese Fokussierung entspricht unseren Erfahrungen.

Um soziale Ungleichheit wirksam zu bekämpfen, braucht es neben staatlichen Akteur*innen die systematische Einbindung derjenigen, die täglich mit ihren Folgen konfrontiert sind. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Beratungsstellen, medizinische Einrichtungen und Menschen mit eigener Armutserfahrung verfügen über wertvolles Wissen, das politische Entscheidungen fundieren und wirksamer machen kann – jenseits rein statistischer Daten.

Aus Praxissicht bleibt festzuhalten: Selbst innerhalb dieser Gruppen erfassen Durchschnitts- oder Medianwerte nicht die extremsten Lebenslagen, etwa Menschen ohne festen Wohnsitz oder mit eingeschränktem Zugang zur gesundheitlichen Versorgung. Solche Realitäten sind in der Statistik oft unterrepräsentiert, sollten aber gerade deshalb in politischen Maßnahmen stärker berücksichtigt werden.

Ihr Bericht weist aus, dass die obersten zehn Prozent rund 40 % des Vermögens in Rheinland-Pfalz besitzen, während die untere Hälfte der Bevölkerung lediglich etwa 10 % hält. Was fehlt, ist die klare Benennung extremen Reichtums: In Rheinland-Pfalz lebt die wohl reichste Unternehmerfamilie Deutschlands mit einem geschätzten Vermögen von über 40 Milliarden Euro – daneben existieren weitere Personen oder Familien mit teils zweistelligen Milliardenvermögen. Diese Vermögenskonzentration steht in krassem Gegensatz zur Lebensrealität vieler normalverdienender und armutsgefährdeter Menschen. Politische Verantwortung bedeutet, diese Spaltung klar zu benennen und Maßnahmen zu prüfen, die Überreichtum regulieren und das Gemeinwohl stärken.

Ein gelungenes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Land und Zivilgesellschaft ist unsere Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (CSKV), wie Sie auch in Ihrem Vorwort erwähnen. Seit bald sechs Jahren unterstützen wir hier Menschen ohne oder mit unsicherem Krankenversicherungsschutz und dokumentieren dabei strukturelle Versorgungslücken. Die daraus gewonnenen Daten übermitteln wir regelmäßig an Sie. Wir wundern uns, dass diese jedoch bislang im Bericht nicht berücksichtigt werden.

Zudem fehlen grundlegende Angaben zur Zahl nicht oder nicht ausreichend krankenversicherter Menschen in Rheinland-Pfalz. Der Mikrozensus greift hier zu kurz: Besonders vulnerable Gruppen – etwa wohnungslose Menschen, zugewanderte EU-Bürger*innen, Drittstaatsangehörige oder Menschen mit Beitragsschulden – bleiben weitgehend unberücksichtigt. Diese Lücken erschweren nicht nur eine realistische Einschätzung der Versorgungslage, sondern auch gezielte politische Maßnahmen und unsere Arbeit vor Ort.

Wir laden Sie daher herzlich ein, unsere gemeinsame CSKV und den Verein Armut und Gesundheit in Deutschland e. V. in Mainz zu besuchen; nicht nur, um Ihnen unsere Arbeit zu zeigen, sondern um zu besprechen, wie vorhandene Praxisdaten künftig systematisch einbezogen und bestehende Erhebungslücken geschlossen werden können. So lassen sich wirksamere Maßnahmen entwickeln und folgende Armuts- und Reichtumsberichte noch aussagekräftiger gestalten.

Mit freundlichen Grüßen
Jari Trabert und Nele Wilk

Armut und Gesundheit in Deutschland e. V./
Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz

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