Zur Einweihung der Gedenkskulptur 
für die wohnungslosen Opfer des Nationalsozialismus


Unser Redebeitrag bei der Einweihungsveranstaltung am 20.11.2025:

[Nele Wilk:]

Sehr geehrte Anwesende, liebe Interessierte,

wir sind Klaus Kröhl, Jenny Heinz und Nele Wilk und wir sprechen hier heute für den Verein Armut und Gesundheit in Deutschland.

Der Gründer und 1. Vorsitzende unseres Vereins, Gerhard Trabert, hat dieses Denkmal initiiert.

Er ist leider schwer krank und kann deshalb heute hier nicht sprechen.

Unser Verein leistet praktische Arbeit für Menschen, die unser Sozialstaat im Stich lässt: Wir arbeiten präventiv mit Kindern und Jugendlichen, bieten finanziell benachteiligten und nicht krankenversicherten Menschen akute medizinische Versorgung an und beraten auf dem Weg ins Sozialsystem.

Viele unserer Patient*innen und Adressat*innen haben keine Wohnung, kein Geld oder keine Arbeit. 
Sie fallen durchs Raster der sozialen Unterstützung, werden allein gelassen und ausgegrenzt.

Wir setzen uns bundesweit dafür ein, dass der Staat seiner Verantwortung für gesundheitliche Chancengleichheit und Armutsbekämpfung nachkommt.
Wir engagieren uns zivilgesellschaftlich, gehen mit politisch Verantwortlichen ins Gespräch und machen Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zur Lebenssituation von benachteiligten Menschen.

Diese Gedenkstätte hier ist ein Beispiel dafür.

Klaus Kröhl steht unserem Verein schon lange nahe. 
Er ist Künstler und hat unsere Ambulanz mit wunderschönen Wandmalereien geschmückt. Außerdem setzt er sich auch selbst für wohnungslose Menschen ein.

[Klaus Kröhl:]


Ich kenne den Verein und Dr. Trabert schon sehr lange – um die 20 Jahre.

Ich war selbst obdachlos und habe zwei Jahre auf der Straße gelebt.

Das war eine harte Zeit. Wenn man auf der Straße ist, ist man für die anderen Menschen unsichtbar. Man wird entweder gar nicht wahrgenommen oder die Leute gehen ganz anders mit einem um.
Von zehn Menschen schaut einen vielleicht einer an. Manche vermitteln, dass man Abschaum ist. Das ist erniedrigend und stigmatisierend. Die Situation ist wirklich nicht einfach.
Ich habe zum Glück nie getrunken, aber viele Menschen gehen eine Zweckgemeinschaft mit dem Alkohol ein. Das kann ich nachvollziehen. 
Aber dann bildet sich ein Strudel, man verliert den roten Faden, 
und ohne Unterstützung kann man da eigentlich nicht mehr rauskommen.

Ich selbst habe viel Glück gehabt. Ich konnte bei der Pfarrer-Landvogt-Hilfe essen, habe bei Armut und Gesundheit medizinische Versorgung und Beratung bekommen, dann ein Zimmer im Thaddäusheim und schließlich Arbeit auf einem Bauernhof.

Danach habe ich wieder ein eigenes Apartment gefunden. Das war ein großes Glückserlebnis! Heute habe ich ein Dach über dem Kopf. Ich kann wieder malen. Im Moment mache ich viele Skulpturen. Das bedeutet mir unheimlich viel. Nie wieder will ich in die Situation auf der Straße zurück.

Nicht viele haben so ein Glück. Die Stimmung in der Gesellschaft ist rauer geworden, besonders für Menschen, die obdachlos sind. Ich engagiere mich in der Wohnungslosenhilfe und kriege jeden Tag mit, wie es den Leuten auf der Straße geht. Sie haben meistens kein Geld, keine Möglichkeiten und sind von allem ausgeschlossen.

Und leider werden obdachlose Menschen immer öfter angegriffen, meistens von Leuten mit rechter Gesinnung. Man wird beschimpft, bedroht, bespuckt, manchmal sogar geschlagen, nur weil man auf der Straße lebt. Auch hier in Mainz.

Den anderen Leuten ist das meistens egal. Heutzutage ist sich jeder selbst der Nächste. Es wird so hingestellt, als wären obdachlose Menschen einfach nur faul und selbst schuld.

Dabei kann jeder in diese Situation kommen. Das will kaum jemand wahrhaben.
Die Politik hat sich auch verändert und unterstützt dieses Denken.

[Jenny Heinz:]

Die Zunahme an Gewalt und menschenfeindlichen Vorfällen können wir leider bestätigen. Kürzlich haben wir dazu auch einen Beitrag im Jahresbericht der Melde- und Dokumentationsstelle Rheinland-Pfalz veröffentlicht.
Neben der Gewalt auf der Straße steigt laut aktuellen Medienberichten auch die Zahl der Zwangsräumungen In Rheinland-Pfalz: Eine Form von struktureller Gewalt.

Wir beobachten in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatte brandgefährliche Tendenzen – nicht mehr nur in einer rechtsextremen Partei, sondern fast quer durch die Bank.

Es gibt die Erzählung, auch hier in Mainz, der Sozialstaat sei nicht mehr zu tragen. Das ist falsch. Es ist andersherum: 
Der Sozialstaat ist genau das, was unsere Gesellschaft und Demokratie trägt!

Das Grundgesetz besagt: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. 
Natürlich sind nicht alle Menschen gleich, doch wir betonen immer, dass sie den gleichen Wert und die gleiche Würde haben, dass sie gleichwertig und gleichwürdig gesehen und behandelt werden müssen:

  • Egal, ob sie auf der Straße leben oder über finanziellen und materiellen Reichtum verfügen.
  • Egal, ob sie viel arbeiten können oder nicht.
  • Unabhängig von ethnischer und sozialer Herkunft, Gesundheitssituation, Religionszugehörigkeit, geschlechtlicher Identität oder sexueller Präferenz.

Leider wird das in unserer Gesellschaft noch lange nicht so umgesetzt.


[Jenny Heinz und Nele Wilk:]

Wir möchten Sie dafür sensibilisieren:

  • Achten Sie darauf, wie Sie mit und über Menschen sprechen.
  • Seien Sie aufmerksam, was politisch Verantwortliche sagen.
  • Und widersprechen Sie, wenn unsoziale und menschenfeindliche Meinungen geäußert und Entscheidungen dahingehend getroffen werden.
  • Stehen Sie dafür ein, dass niemand verhungern, ertrinken oder erfrieren darf.
  • Und dass niemand zur Arbeit gezwungen werden darf.
  • Setzen Sie sich dafür ein, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung ebenso ein Menschenrecht ist wie eigener Wohnraum.

Nicht persönliches Versagen, sondern gesellschaftliche Missstände und politische Versäumnisse führen dazu, dass Menschen in Not geraten.
Menschen in Notlagen haben ein Recht auf Unterstützung. Politische Akteur*innen und Zivilgesellschaft müssen dafür ausreichende Angebote machen.


[Klaus Kröhl:]

Das Team von Armut und Gesundheit hat mich viel unterstützt. Nicht nur durch medizinische Hilfe. Sie haben auch meine Talente geschätzt und sind mir mit viel Verständnis und Vertrauen begegnet.

Durch Dr. Trabert konnte ich ein stimmberechtigtes Jurymitglied beim Wettbewerb für das Kunstwerk dieses Denkmals sein und meine Perspektive mit einbringen. Ich befasse mich schon längere Zeit mit dem Thema Wohnungslosigkeit und damit, wie es künstlerisch umgesetzt werden kann.


Dr. Trabert vermisse ich sehr. Wir haben uns über die eingereichten Entwürfe ausgetauscht und waren uns einig, dass diese Skulptur von Herrn Franz die Situation und das Gefühl, auf der Straße zu sitzen, am besten trifft. Sie wird wohnungslose Menschen und ihre Situation sichtbar machen, hat er gesagt.

Ich finde es gut, dass es dieses Denkmal jetzt hier gibt. Denn das Gesehen werden ist viel wert – es ist fast das Wichtigste, wenn es einem schlecht geht.


[Jenny Heinz und Nele Wilk:]

Die Menschen, die im Nationalsozialismus „Berufsverbrecher“ oder „Asoziale“ genannt worden sind, wurden mit dem grünen oder dem schwarzen Winkel gekennzeichnet, diffamiert, verfolgt und vertrieben.

Es ist schwierig, genaue Zahlen zu nennen. Nach Recherchen muss man von etwa 70.000 Opfern ausgehen.
 Sie wurden bei sogenannten „Säuberungen der Landstraße“ und „Bettlerrazzien“ aufgegriffen, in Lager deportiert, weggesperrt, zwangssterilisiert und oft ermordet.

Diese Gräueltaten der Nationalsozialisten waren nach dem Krieg nicht gänzlich vorbei:

  • Der Begriff der sogenannten „Nichtsesshaften“, den SS-Sturmbandführer Seidl eingeführt hatte, wurde noch weit über das Ende der Diktatur hinaus in den Amtsstuben benutzt.
  • Bis Ende der 1970er Jahre haben Mediziner*innen an anatomischen Erklärungsmustern für das Phänomen Wohnungslosigkeit festgehalten.
    Das ist absurd und zeigt, wie tief stigmatisierendes Verhalten weiterwirkte.
  • Auch der NS-Begriff der sogenannten „Asozialen“ ist leider nicht selten noch – oder wieder – zu hören.

  • Das Narrativ von sogenannten „arbeitsscheuen“ Menschen, die sich (Zitat) „gewillt nicht in die Gesellschaft einfügen“,… naja, Sie erkennen die Ähnlichkeiten zu höchst aktuellen Debatten selbst.

Der Deutsche Bundestag hat die Opfergruppe der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ erst im Februar 2020 und nach Bemühungen von Prof. Nonnenmacher und dessen Verein anerkannt und beschlossen, ihrer besonders zu gedenken. Für diese Initiative danken wir Prof. Nonnenmacher sehr.

Außer einer Online-Ausstellung ist bisher allerdings nicht viel passiert. Einschlägige Forschungen und konkrete Projekte zur Aufarbeitung stehen noch aus. Wir hoffen, dass dieses Denkmal ein Ansporn sein kann.


[Klaus Kröhl:]

Dr. Trabert hat sich jahrzehntelang für die Rechte von wohnungslosen und anderen benachteiligten Menschen eingesetzt.


Auch für diese Gedenk-Skulptur hat er jahrelang gekämpft, Gespräche mit der Stadt, dem Land und Stiftungen geführt.

[Jenny Heinz und Nele Wilk:]

Wie so oft haben wir uns gewünscht, dass staatliche Stellen ihrer Verantwortung stärker nachkommen. Zeitweise war der Prozess zäh, und wir haben schon nicht mehr an die Realisierung geglaubt.
Dann ging es doch noch voran: Ortsbeirat, Kulturausschuss, Kunstbeirat und Stadtrat haben sich mit großem Eifer dafür eingesetzt, das erste Denkmal dieser Art hier in Mainz aufzustellen.
Der Wettbewerb um das Kunstwerk wurde groß ausgelobt, und die Durchführung unter dem Vorsitz von Frau Grosse und Dr. Trabert hat sehr gut funktioniert. 
Darüber sind wir sehr glücklich und freuen uns, heute vor der fertigen Gedenk-Skulptur stehen zu können.




Auch mit dem Ort sind wir sehr zufrieden:

  • Wir stehen hier vor St. Peter, wo Pfarrer Franz Adam Landvogt begraben liegt, der sich sehr für Menschen in Not eingesetzt hat.
  • Um die Ecke liegt das Haus des Erinnerns für Demokratie und Akzeptanz – die zentrale Gedenkstätte für alle Opfer der nationalsozialistischen Diktatur.
  • Das Allianzhaus ist eine Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen, die Krieg und Not erleben mussten und aktuell keine eigene Wohnung haben.
  • Im Erdgeschoss das schon schön, wo Kultur gelebt und das freie Leben gefeiert wird.
  • Hier die Vitrine, in der wechselnde Ausstellungen ohne Eintrittsgeld jederzeit und für alle zugänglich sind. Im Schaukasten daneben können wir aktuell Fotos von Sozialarbeiter Willi Schuth von obdachlosen Menschen in der Gegenwart sehen.
  • Dort die Bushaltestelle, wo das geschäftige Leben stattfindet, in der Großen Bleiche, wo Leerstand und Armut täglich sichtbar sind.
  • Und ein Aspekt, der uns besonders freut: 
Wer aus der Innenstadt zum Landtag möchte, kommt hier vorbei. Wir hoffen, dass das Denkmal auch als Mahnmal fungiert – für alle, die hier vorbeigehen, aber besonders auch für Politiker*innen, die im Landtag ihrer Arbeit nachgehen und nicht vergessen dürfen, dass die Beachtung von Menschenwürde und Menschenrechten ihr oberstes Gebot sein muss.

Dieses Denkmal soll ein Ort sein, an dem Nachdenken, Trauern, Gedenken und Erinnern möglich ist – im Alltagstrubel, aber auch in Stille: Ein Ort des Mahnens.

Wir danken allen, die sich ideell, organisatorisch, finanziell oder anders an der Umsetzung beteiligt haben.

[Klaus Kröhl:]

Ich hoffe, dass die Menschen die Gedenkskulptur wahrnehmen und nicht ignorieren.
Es ist wichtig, dass die Allgemeinheit von dem Unrecht in der Vergangenheit erfährt. Dieses Denkmal soll eine Brücke schlagen in die Gegenwart und Zukunft – damit die Leute erkennen, wenn solche Tendenzen wieder groß werden.

Nie, nie wieder darf es so weit kommen wie damals.


Presseberichte zur Einweihung des Denkmals:

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/denkmal-fuer-obdachlose-menschen-waehrend-der-ns-zeit-100.html

https://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/mainz/stadt-mainz/nach-traberts-idee-gedenkstele-fuer-ns-opfer-eingeweiht-5155168

https://www.instagram.com/reel/DRS3C_MjVMr/